"Der kostenlose Kindergartenplatz ist das falsche Signal"
"Der kostenlose Kindergartenplatz ist das falsche Signal"
Gerd Landsberg, Geschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes, im Interview mit dem Bonner Generalanzeiger über die Finanzkrise der Kommunen - Der Jurist sieht kein Sparpotenzial mehr beim Personal und plädiert für Städtekooperationen statt Privatisierung
Angesichts der Finanzkrise ist der Erhalt der Gewerbesteuer für die Kommunen unabdingbar, sagt Gerd Landsberg. Der Geschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes plädiert darüber hinaus dafür, die Kommunen "angemessen" an der geplanten Erhöhung der Mehrwertsteuer zu beteiligen. Mit ihm sprachen Wolfgang Wentsch und Joachim Westhoff.
General-Anzeiger: Immer mehr Kommunen sind praktisch pleite, sie müssen sogar Kredite aufnehmen, um die Löhne zu bezahlen. Sehen Sie einen Ausweg aus diesem Desaster?
Gerd Landsberg: Einen Ausweg aus der Finanzkrise sehe ich nur durch zwei Maßnahmen: eine Gemeindefinanzreform, die unsere Einnahmen nicht nur verstetigt, sondern auch verbessert, und eine deutliche Reduzierung der Ausgaben, das heißt, Bund und Länder müssen aufhören, immer neue und immer teurere Aufgaben auf die Kommunen zu übertragen.
GA: Welche Aufgaben sind das?
Landsberg: Ein Beispiel ist die Eingliederungshilfe für Behinderte. Die Kommunen haben zur Zeit - Tendenz steigend - 11,5 Milliarden Euro pro Jahr auszugeben. Das ist eine wichtige Aufgabe, aber ich halte es nicht für eine kommunale Aufgabe. Zweitens sollte der Bund generell, wenn er Erhöhungen vornimmt, die Kosten übernehmen nach dem Grundsatz: Wer bestellt, bezahlt.
GA: Die Eingliederungshilfe für Behinderte ist in den letzten jahren offenbar dramatisch gestiegen.
Landsberg: Sie ist in den vergangenen zehn Jahren um 30 Prozent gestiegen und steigt weiter. Das liegt an der Medizintechnik und daran, dass zum Beispiel Neugeborene mit Vorschädigungen heute bessere Überlebenschancen haben. Außerdem ist die Chance, einen schweren Verkehrsunfall zu überleben, deutlich gestiegen. Das ist alles erfreulich, verursacht aber entsprechende Kosten. Genauso wie die Tatsache, dass die Menschen immer älter und damit auch für schwere Krankheiten anfälliger werden.
GA: Werden Sozialleistungen nach dem Gießkannenprinzip oder nach dem tatsächlichen Bedarf verteilt?
Landsberg: Unstreitig müsste man viel stärker auf den Bedarf achten. Man muss den Menschen effektiv helfen aber auch sehen, was Betroffene aus eigener Kraft leisten können. Es gilt schon der Grundsatz 'fördern', es muss aber auch der Grundsatz 'fordern' gelten. Das gilt für alle Bereiche.
GA: Für welche sonst noch?
Landsberg: Für die Sozialhilfe und auch für Hartz IV. Wir müssen noch mehr Ein-Euro-Jobs schaffen, weil das gerade Langzeitarbeitslose wieder an den Arbeitsprozess gewöhnt und weil es letztlich auch Schwarzarbeit verhindert.
GA: Wie sähe eine Gemeindefinanzreform nach ihren Wünschen aus?
Landsberg: Ich sehe derzeit Niemanden, der uns davon überzeugen kann, dass die Gewerbesteuer durch eine bessere und andere Steuer ersetzt werden kann. Wir sind natürlich gesprächsbereit. Es muss aber eine kommunale Wirtschaftssteuer geben, die das Band zwischen Wirtschaft und Kommunen stärkt. Wir haben ein Kommunalmodell entwickelt, das eine finanzielle Beteiligung der Freiberufler an der kommunalen Infrastruktur vorsieht.
GA: Indem sie gewerbesteuerpflichtig werden?
Landsberg: Ja, aber mit Verrechnungsmöglichkeiten bei der Einkommensteuer.
GA: Was halten Sie von Vorschlägen, den Kommunen das Recht auf die Erhebung einer eigenen Lohn- und Einkommensteuer zu ermöglichen?
Landsberg: Wir halten das nicht für ein geeignetes Finanzierungsmittel. Derzeit bekommen die Städte und Gemeinden rund 20 Milliarden Anteile an der Lohn- und Einkommensteuer. Damit werden aber keine freiwilligen Aufgaben erfüllt, da werden keine Vereine gefördert und keine Fußballplätze gebaut, sondern gesetzliche Pflichten erfüllt, zum Beispiel bei der Sozialhilfe. Eine beschränkte kommunale Einkommensteuer könnte ich mir vorstellen, wenn damit zusätzliche Leistungen, die die Bürger wünschen, finanziert werden.
GA: Was halten Sie von der Local Tax, der örtlichen Steuer, die es in den Vereinigten Staaten gibt?
Landsberg: Eine solche Mehrwertsteuer würde ich für Deutschland nicht empfehlen, weil wir andere Strukturen haben. Richtig wäre, wenn die Kommunen an der geplanten Erhöhung der Mehrwertsteuer angemessen beteiligt würden.
GA: Da müssten sie sich mit den Ländern raufen.
Landsberg: Oder auch mit dem Bund. Das zentrale Problem ist: alle drei Ebenen sind pleite und der Kuchen wird nicht größer.
GA: Der Bund, sprich die Bundesregierung, würde am liebsten die Kindergartenbeiträge abschaffen. Ist das für die Kommunen finanzierbar?
Landsberg: Das ist erstens nicht finanzierbar, es geht immerhin um fast drei Milliarden Euro, und zweitens familienpolitisch das falsche Signal. Wir haben nicht das Problem, dass Leute den Kindergarten nicht bezahlen können, da Leute mit niedrigem Einkommen oder Sozialhilfeempfänger einen unentgeltlichen Kindergartenbesuch haben.
GA: Das ist also Berliner Wahlkampfgetöse...
Landsberg: Offenbar. Was wir brauchen ist eine bessere, flächendeckende Ganztagsbetreuung. Das können die Kommunen selber nicht leisten, sie zahlen schon jetzt 13 Milliarden pro Jahr. Wir brauchen zum Beispiel auch viel mehr Sprachorientierung. Wir haben Kinder mit Migrationshintergrund, die kommen in die Schule und können kein Deutsch - das sind die zentralen Herausforderungen und nicht der kostenlose Kindergarten. Wer Familienpolitik voranbringen will, muss dafür sorgen, dass die Kommunen in der Lage sind, eine flächendeckende Ganztagsbetreuung anzubieten, und er muss dafür sorgen, dass es mehr Arbeitsplätze gibt, denn wenn Ehepaare keine Arbeitsplätze haben, werden sie auch keine Kinder in die Welt setzen.
GA: Wo könnten die Kommunen sparen?
Landsberg: Sicherlich hat jede Kommune noch ein Potenzial, allerdings nicht beim Personal, dem Hauptkostenfaktor. Allein in den vergangenen zehn Jahren haben wir schon 560 000 Arbeitsplätze abgebaut. Ich sehe zusätzliches Potenzial in mehr kommunalen Kooperationen, dass eine Stadt mit der anderen beispielsweise sagt, wir betreiben das Schwimmbad, die Wasserversorgung und die Abwasserentsorgung gemeinsam, oder die Leitzentrale für die Notrufe. Kommunale Kooperation halte ich für den besseren Weg als Privatisierungen.
GA: Sehe Sie auch Kooperationsmöglichkeiten zwischen Bonn und dem Rhein-Sieg-Kreis?
Landsberg: Das muss über Stadtgrenzen, über Kreisgrenzen und sogar über Landesgrenzen hinweggehen. Es ist überhaupt nicht einzusehen, warum Bonn nicht mit dem Kreis Ahrweiler kooperieren kann oder Rheinland-Pfalz mit dem Saarland.
GA: Welche Chance bietet die Fußball-Weltmeisterschaft für die Kommunen?
Landsberg: Die WM bietet den Austragungsorten die Chance, Geld zu verdienen und sich nach Außen darzustellen. Das gilt aber auch für andere Städte. Wir werden Millionen von zusätzlichen Touristen in Deutschland haben. Der Tourismus ist eine der ganz wenigen Wachstumsbranchen für Kommunen. Jeder, der mal hier war und sich wohlgefühlt hat, wird wiederkommen. Das muss man nutzen. Der touristische Langzeiteffekt kann ganz erheblich sein.
GA: Man hört, dass es doch erhebliche Probleme in der Zusammenarbeit zwischen der Fifa und den Kommunen gibt.
Landsberg: Wir haben Probleme, weil durch die Fifa eine große Bürokratie aufgebaut worden ist. Das beginnt bei Werbeerlaubnissen, bei Werbeverboten, geht weiter über die Sicherheitsanforderungen oder zur Frage, darf ich eine Leinwand aufstellen, dafür aber kein Geld nehmen. Das ist unnötig verkompliziert worden. Es zeigt einmal mehr, Sport ist eben auch ein Geschäft, und da wird mit harten Geschäftsmethoden operiert.
GA: Täuscht der Eindruck, dass sich die Zahl der Korruptionsfälle in den Kommunen deutlich erhöht hat, oder ist das nur auf eine Verringerung der Dunkelziffer zurückzuführen?
Landsberg: Ich glaube nicht, dass sich das deutlich erhöht hat. Man schaut auf diese Dinge inzwischen sehr viel genauer. Die Kommunen haben neue Antikorruptionsmethoden entwickelt - Stichwort Korruptionsbeauftragte, Vier-Augen-Prinzip. Die Sensibilität ist beträchtlich gestiegen, was auch ein Verdienst der Presse ist.
GA: Wie bewerten Sie Reisen von Kommunalpolitikern auf Einladung von Energiekonzernen?
Landsberg: Grundsätzlich ist gegen eine Informationsreise nicht einzuwenden, wenn es sich wirklich um eine Informationsreise handelt.
GA: Wie reagiert man denn auf die Berichterstattung in der Presse über Korruptionsfälle.
Landsberg: Das hat nicht nur positive Auswirkungen. Ein Beispiel: In Baden-Württemberg haben Energieversorger pro Einwohner einen bestimmten Betrag bezahlt für gemeinnützige Zwecke an die Stadt, also etwa für Kindergärten. Das hat zu Ermittlungsverfahren gegen Bürgermeister geführt, weil irgendwann auch der neue Konzessionsvertrag für den Energierversorger anstand. Und das hat weiter dazu geführt, das die Bereitschaft der Kommunen, Sponsormittel einzuwerben, deutlich zurückgegangen ist. Dabei wollen wir doch das Engagement der Wirtschaft für gemeinnützige Zwecke.
GA: Wie kann der Konflikt gelöst werden?
Landsberg: Der Landtag in Baden-Württemberg hat im März ein Gesetz verabschiedet, wo ganz klar geregelt ist, dass dass Einwerben von Sponsorgeldern für öffentliche, gemeinnützige Zwecke auch eine öffentliche Aufgabe ist. Wir müssen verhindern, dass das Kind mit dem Bade ausgeschüttet wird.
GA: Was halten sie von der Altersgrenze für Bürgermeister, die in Bad Honnef dazu führt, dass Wally Feiden, die bis 2009 gewählt ist, schon 2008 gehen muss?
Landsberg: Ich bin radikal gegen die Altersgrenze. Mir ist nicht einsichtig, warum ein Innenminister wie Herr Schily mit 71 Jahren noch seinen Job machen konnte oder Bundeskanzler Adenauer, der 86 war, und ein Bürgermeister muss mit 65 gehen.
Zur Person
Gerd Landsberg (53) ist in Wiesenbronn (Bayern) geboren, siedelte aber schon im Kindesalter nach Bonn um, wo er bis heute wohnt. Seit 1998 ist er Geschäftsführendes Präsidialmitglied des Deutschen Städte- und Gemeindebundes in Berlin, zuvor war er Richter am Oberlandesgericht Düsseldorf. Der Städte- und Gemeindebund vertritt die Interessen der kommunalen Selbstverwaltung von rund 12 100 kreisangehörigen Städten und Gemeinden in Deutschland und Europa.
© DStGB, Berlin, 04..04.2006